Film des Monats: November 2012

Mit der Seilbahn fährt der zwölfjährige Simon vom Industriegebiet im Tal regelmäßig in das hochgelegene Skigebiet, um Skier und Ausrüstung reicher Touristen zu stehlen. Diese verkauft er an die Kinder in seinem Wohnblock. Seine erwachsene Schwester Louise hat ihre Stelle verloren, wechselt ständig ihre Männer und wird immer abhängiger von Simons „Einkünften“. Er sucht bei ihr Zuwendung und Geborgenheit, die sie ihm angesichts ihrer prekären Lebensverhältnisse kaum zu geben vermag. Während er im Skizentrum geschickt Kontakte knüpft, damit seine Diebstähle nicht entdeckt werden, fühlt er sich im Tal eher allein gelassen. Schließlich findet Louise eine Arbeit in einem Chalet für Touristen. Simon hilft ihr im Haushalt. Als Louise die Windeln eines Kleinkindes der Gastfamilie wechselt, wird plötzlich eine ganz andere Wahrheit zwischen ihr und Simon erkennbar.

„Winterdieb“ zeigt die Schattenseiten einer auf Hochglanzpapier präsentierten Freizeitindustrie, die Vitalität und Vergnügen verspricht. Statt „Sonne, Ski und Pulverschnee“ sind es die existentiellen Fragen nach einem Zuhause und der Tragfähigkeit von Beziehungen, die sich für Simon und Louise stellen. Der Skitourismus bietet zwar vorübergehend Arbeit und Einkommen, schafft aber zugleich äußerst riskante Abhängigkeitsverhältnisse. Indem Simon stiehlt, um sich und die Schwester zu versorgen, werden ihm Kindheit und Jugend gestohlen. Die Sehnsucht nach Nähe, Fürsorge und Schutz wird in der Darstellung der Beziehung zwischen Simon und Louise in jedem Augenblick spürbar. Die Kamera mit ihren Einstellungswechseln von oben nach unten, vom Berg ins Tal, findet kongeniale Bilder für diese Gefühlslage. Wo und wie gewinnen die beiden Halt im täglichen Kampf um die elementarste materielle Versorgung, um ein erträgliches Dasein? Der Film wird zum Gleichnis einer Suche nach existentiellen und sozialen Vergewisserungen, die sich im Skizirkus der Tourismusindustrie nicht finden lassen.